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Angststillstand

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von: Richard David Precht gelesen und rezensiert: Oktober / November 2025 created by: google gemini Ein neuer Essay in Buchform von Richard David Precht. Ähnlich wie “Das Jahrhundert der Toleranz” greift es ein Thema auf, das dem Autor augenscheinlich sehr am Herzen liegt. Diesmal geht es um die Meinungsfreiheit und die Frage, ob sie nach wie vor in dem Ausmaß vorhanden ist, wie sie eine liberale Demokratie, die auf einer deliberativen Öffentlichkeit basiert, braucht. Er schließt damit, zumindest fühlt es sich für mich so an, an das Buch “Die 4. Gewalt” an, das er mit Harald Welzer gemeinsam gemacht hat und für das er teils hart kritisiert wurde. Diesmal spannt er den Bogen allerdings noch ein bisschen weiter. Ging es in “Die 4. Gewalt” hauptsächlich um die Medienwirtschaft, so ist jetzt die Meinungsfreiheit ganz allgemein im Fokus. Und ich kann mein Urteil vorwegnehmen: Ich finde, es ist ein gutes Buch, zu einem guten Zeitpunkt.  Meinungsfreiheit - alles beim Alten? An der gesetzl...

Am Ende

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von: Jean-Remy von Matt gelesen und rezensiert: Oktober 2025 Wer auch immer mit Werbung zu tun hat - also nicht nur in der passiven, konsumierenden Rolle - kennt Jean-Remy von Matt. Seine Agentur, die er gemeinsam mit seinem Partner Holger Jung gegründet hat, ist Legende: Jung von Matt. In den vergangenen 30 Jahren hat diese Agentur die Werbebranche auf eine Art und Weise geprägt, die für den DACH-Raum einzigartig ist. Das war für mich der Anlass, einen Blick in das neueste Buch von Jean-Remy von Matt zu werfen, mit dem etwas traurigen Titel “Am Ende”. Erzählungen aus dem Leben eines Werbers “Am Ende” ist keine Autobiografie, kein Roman, keine Novelle, sondern vielmehr eine Aneinanderreihung von Kurzgeschichten, die aus dem Leben und Wirken von JRvM erzählen. Und es wäre kein Buch von ihm, wenn es keinen kreativen Zugang wählen würde. Dafür ist es wichtig zuerst einen Leitgedanken des Buches vorzustellen: Lege es weg, wenn es dir nichts mehr bringt. Da ich JRvM nicht kenne, möchte ich...

Das Museum der Unschuld

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von: Orhan Pamuk gelesen und rezensiert: September 2025 “Das Museum der Unschuld” ist das zweite Werk von Pamuk, an das ich mich heranwage und wie schon bei “Diese Fremdheit in mir”, habe ich auch zu diesem nur sehr schwer einen Zugang gefunden. In der Rezension zu “Diese Fremdheit in mir” habe ich davon geschrieben, dass es wichtig ist, sich auf das Buch einzulassen und sich davon mittragen zu lassen. Pamuk schreibt ausschweifend und teilweise sehr langatmig, weil er uns teilhaben lassen will, an der Stimmung und an so vielen Einzelheiten wie möglich. Als ich “Das Museum der Unschuld” zur Hand genommen habe, wusste ich also, worauf ich mich einlasse. Eine unerfüllbare Liebe? Wir sind im Istanbul der 1970er Jahre. Die Stadt schwankt zwischen Freiheitsliebe und religiösem Traditionalismus - auch 50 Jahre nach Atatürk. Das zeigt sich vor allem auch darin, dass Beziehungen zwischen Männern und Frauen noch sehr traditionell gelebt werden - wollen. Heißt nichts anderes als: Sex vor der Ehe ...

Über Menschen

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von: Juli Zeh gelesen und rezensiert: April 2025 Geschichten einer Zeit. Was für ein großartiges Buch ist das denn? Ich bin ja nicht so der Typ, der mit der Tür ins Haus fällt, aber in dem Fall kann ich nicht anders. Ich bin tief berührt auf eine Art und Weise, wie es mir bei einem Buch sehr lange nicht mehr passiert ist. Am Land ist alles schöner? Die Geschichte ist, ohne das in irgendeiner Form angriffig zu meinen, recht banal. Dora beschließt, aus einer dysfunktionalen Beziehung auszubrechen und zieht in ein Haus, dass sie sich gerade so kaufen konnte, nach Brandenburg. Ausschlaggebend für das Beziehungsende, wenn auch nicht entscheidend, war Corona, das in so vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen, auf Makro- wie auf Mikro-Ebene, als Brandbeschleuniger fungiert hat. Dora reicht es mit Robert, als er ihr anordnet, das Haus nicht mehr zu verlassen.  Aber schon davor hat Dora immer wieder Bläschen in sich aufsteigen gefühlt. Zehs Variante zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wen...

Der letzte Sessellift

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von: John Irving gelesen und rezensiert: Jänner / Februar 2025 Ein Meister des Erzählens Irving ist ein meisterhafter Erzähler, der mir bereits mit “Gottes Werk und Teufels Beitrag” begegnet ist. Und auch meine Reise mit “Der letzte Sessellift” begann schon lange bevor ich begonnen habe, das Buch zu lesen. Schon vor Monaten hatte ich das Buch, in der Buchhandlung meines Vertrauens, ein erstes Mal in der Hand und konnte mich nicht dazu durchringen, es zu kaufen. Einerseits war es der Umfang, der mich hat zögern lassen, andererseits war es, was ich auf dem Klappentext gelesen habe. Die Geschichte wirkte auf mich nicht besonders beeindruckend, jedenfalls nicht so beeindruckend, dass die Länge für mich gerechtfertigt gewesen wäre. In den Weihnachtsfeiertagen war ich allerdings auf Familienurlaub in Salzburg und hatte Zeit und irgendwie hat es sich richtig angefühlt, die Zeit für dieses Buch zu nutzen. Und das habe ich auch getan und weitere 4 Wochen danach. Dieses Buch zu lesen ist nicht e...

Wie viel Geschichte verträgt die Gegenwart?

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 Dunkelblum. Ein Blick in den Schatten. von: Eva Menasse gelesen und rezensiert: Mai 2025 Es muss doch irgendwann mal Schluss sein mit diesen alten Geschichten. Es muss doch irgendwann Vergangenheit Vergangenheit sein dürfen. Es muss doch irgendwann genug sein mit dieser ewigen Fragerei und der Suche nach den Schuldigen. Es hat doch niemand mehr etwas davon, wenn die Geschichten von vor 50 Jahren aufgewärmt werden. Das hört man vielerorts und vielermenschs. Vor allem dort, wenn in der eigenen Vergangenheit etwas schlummert, von dem ganz klar ist, richtig war das damals nicht. Solche Geschichten gibt es überall auf der Welt, manchmal sind es Kleinigkeiten, manchmal große Verbrechen. Der Wunsch nach vorne zu blicken ist nur allzu verständlich - die Geschichte darüber zu vergessen, das Unrecht, das anderen Menschen widerfahren ist und die Schuld unter den Teppich der Zeit zu kehren, das ist aber nur bedingt richtig. Blick in den Schatten In Dunkelblum wirft Eva Menasse einen literaris...

Durch welche Wand soll ich treten?

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Ein Blick in die fernöstliche Denktradition von: Kai Marchal gelesen und rezensiert: Juni bis Juli 2025 Ich wurde auf Kai Marchal durch die SRF Sendung „Sternstunden Philosophie“ aufmerksam. Es war ein angenehmes, erhellendes und irgendwie beruhigendes Gespräch, das er mit Barbara Bleisch geführt hat. Er erzählt aus seinem Leben, wie es ihn nach Taiwan geführt hat und wie sich sein Denken im direkten Kontakt mit fernöstlicher Weisheit verändert hat. In einem kurzen Exkurs spricht er über das Buch der Wandlungen und wie mittels 64 Hexagrammen orakelt werden kann. Werden, wer ich (nicht) bin.  Nicht erst seit ich mich dazu entschlossen habe, eine Ausbildung zum Achtsamkeits- und Resilienztrainer zu absolvieren, habe ich eine Nähe zur fernöstlichen Weisheitstradition; sie begleitet mich schon sehr viel länger. Ich habe mich ihr durch Bücher von Thich Nhat Hanh und Werke des Dalai Lama langsam angenähert und war immer fasziniert von dem, was ich da las. Es erschien mir also nur folgeri...